🚀 Vom Hype zum Handeln – Wie die Grünen in Niedersachsen Künstliche Intelligenz gestalten wollen

07.11.2025 · von Sina Beckmann
Die Speeldeel im Niedersächsischen Landtag war gut gefüllt, als die Grüne Landtagsfraktion zu ihrer Auftaktveranstaltung „Vom Hype zum Handeln“ einlud. Dort, wo sonst die Fraktionssitzungen stattfinden, ging es an diesem Abend um die Frage, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz gestalten können.

Die Fraktionsvorsitzende Anne Kura begrüßte die Gäste und machte gleich zu Beginn deutlich, warum die Debatte über KI gerade jetzt geführt werden müsse. „KI bietet enormes Potenzial – für Umweltschutz, Verwaltung und Wirtschaft“, sagte sie. „Aber sie wirft auch ethische Fragen auf. Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland hat laut Umfragen Angst vor KI und ihren Auswirkungen. Politik muss regulieren, aber nicht bremsen.“ Kura betonte, dass die Grünen das Thema nicht nur beobachten, sondern aktiv in ihre parlamentarische Arbeit einfließen lassen wollten. KI, so Kura, sei längst Teil des politischen Alltags – und ein Schlüsselthema für die Zukunft des Landes.

Im Anschluss stellte Sina Beckmann, Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion für Künstliche Intelligenz, Innovationen und Startups, das neue KI-Grundsatzpapier der Fraktion vor. Sie hatte das Papier initiiert und den Abend konzipiert. Zu Beginn ihrer Rede fragte sie in den Saal: „Wer hatte heute schon Kontakt zu KI?“ Viele Hände gingen nach oben. Beckmann lächelte: „Genau das meine ich. Wir alle nutzen KI längst – oft, ohne es zu merken.“ Sie nannte Beispiele aus dem Alltag: Spotify, das Musikvorschläge macht, Google Maps, das hilft, Staus zu umgehen, oder ChatGPT, das Texte formuliert. „Die Frage ist also nicht, ob KI kommt“, sagte sie, „sondern wie wir sie gestalten.“

Dann stellte sie das Grundsatzpapier vor - 15 Themenbereiche, fünf Seiten, ein grüner Kompass, den sie an drei Leitgedanken festmachte: Mensch vor Maschine, erklärbare und faire KI und nachhaltige Innovation. Beckmann erklärte, dass KI helfen könne, Brustkrebs noch genauer auf Mammografie-Aufnahmen zu erkennen, Pflegekräfte im Einsatz mit Robotik zu entlasten, Verwaltungsprozesse über Chatbots zu vereinfachen und Ressourcen zu schonen. Sie nannte Beispiele aus Niedersachsen und Deutschland: Das OFFIS-Institut in Oldenburg entwickelt mit der Stadt einen digitalen Bürgerassistenten, der Verwaltungsanträge verständlicher und barrierefreier macht. Das Göttinger Unternehmen Agvolution nutzt KI, um Wetter- und Bodendaten zu analysieren und Landwirten zu helfen, Wasser und Dünger präziser einzusetzen. Und das Start-up noxt arbeitet daran, Gutachten für Windkraftprojekte KI-optimiert zu vereinfachen.

Beckmann sprach auch über die Chancen von KI in der Energiewende: über eigenen PV-Strom, der intelligent gesteuert E-Autos lädt, über bidirektionales Laden, bei dem Fahrzeuge Energie ins Netz zurückeinspeisen, über Smart Meter, die Stromverbräuche optimieren, und autonomes Fahren, das Staus reduziert. „KI kann helfen, die Energiewende dezentral zu denken“, sagte sie. „Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer werden so zu Mitgestalterinnen der Transformation.“ Zum Schluss verband sie das Digitale mit dem Persönlichen. Sie erzählte, dass sie derzeit einen Plattdeutschkurs an der VHS in Schortens besucht. Dort habe sie gelernt, dass das Wort „Fries“ aus dem Landkreis Friesland nichts anderes bedeute als „Rand“. „Ich lebe also am Rand von Niedersachsen“, sagte Beckmann. „Hinter mir kommt nur noch Wasser. Aber wir alle leben nicht am Rand des digitalen Wandels – wir sind mittendrin.“

Sina Beckmann

Wir alle nutzen KI längst – oft, ohne es zu merken. Die Frage ist also nicht, ob KI kommt, sondern wie wir sie gestalten.

Die Keynote des Abends hielt Silke Müller, Niedersachsens erste Digitalbotschafterin, Spiegel-Bestsellerautorin und KI-Expertin. Die Lehrerin und ehemalige Schulleiterin sprach über digitale Ethik – eindringlich, emotional, mit vielen Beispielen aus dem Alltag. Unter dem Titel „Digitale Ethik: Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen?“ beschrieb sie KI als doppelte Kraft: „Wie ein Tsunami, der unsere Welt verändert – und zugleich wie ein Weltwunder, das neue Möglichkeiten eröffnet.“ Sie warnte vor gefährlichen Anwendungen, etwa Apps, die Gesichter manipulieren oder Kinder täuschen. Gleichzeitig zeigte sie auf, wie KI in Medizin, Forschung und Arbeitswelt Chancen schaffen könne. „Die entscheidende Frage ist nicht, ob KI uns erobert“, sagte Müller, „sondern ob wir uns KI erobern.“ Sie schloss ihre Keynote mit einem emotionalen Video der Telekom, das eindringlich zeigt, wie wichtig es ist, umsichtig mit den eigenen Daten und denen der eigenen Kinder im Netz umzugehen.

Nach einer kurzen Pause, die zum Verdauen des gerade Erlebten und für einen gemeinsamen Austausch genutzt wurde, folgte eine Diskussion, die es noch mal in sich hatte. Sina Beckmann moderierte mit sicherer Hand und verband die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmenden. Neben Anne Kura und Silke Müller saß Andreas Bernaczek, Gründer und Geschäftsführer des Netzwerk-Unternehmens CorneXion aus dem Emsland und Manager des KI-Parks Lingen, auf dem Podium. Er sprach über die wirtschaftliche Dimension des Themas: „Wir brauchen neue Systeme und mehr Tempo“, sagte er. „Wirtschaft und Politik sind heute oft zu langsam. Wenn wir ernsthaft mitgestalten wollen, müssen wir europäisch denken und deutlich mehr investieren.“ Bernaczek betonte, dass KI nicht nur ein Technologiethema sei, sondern ein Standortfaktor. „Wir müssen ein echtes Ökosystem schaffen – mit mutigen Gründungen, offener Forschung und einer Politik, die Vertrauen in Innovation hat.“

Silke Müller ergänzte, dass Bildung der Schlüssel sei, um die digitale Transformation zu begleiten: „Wir müssen das Schulsystem auf den Kopf stellen. Lehrkräfte brauchen digitale Kompetenz – sonst verstehen sie die Lebensrealität ihrer Schülerinnen und Schüler nicht.“ Anne Kura fasste den Abend mit einem Satz zusammen: „Es ist gut, dass wir im Gespräch sind – die Politik ist in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovation ermöglichen und zugleich Missbrauch verhindern.“

Zum Schluss machte Sina Beckmann deutlich, dass der Abend erst der Anfang war. „Das KI-Papier ist der Auftakt. Wir werden weiterdenken – zu KI in Kombination mit verschiedenen Themen: Landwirtschaft, Kultur oder auch in der Innenpolitik.“ Ein Satz blieb besonders hängen: „KI kann Zukunft – wenn wir sie gemeinsam gestalten.“ Daran arbeitet die grüne Landtagsfraktion nun kontinuierlich weiter.

Diesen Artikel teilen: Facebook Twitter